„Während der Fernseher
lief und seine Scheiße in mich reinspuckte, hing ich allerlei traurigen Gedanken
nach und die ganze Welt schien immer elendiger zu werden. So war das samstags
meistens, da sah die Welt total beschissen aus und die Wände wollten mich
erdrücken. Na ja, wenigstens war es nicht Sonntag, das bedeutete, ich konnte
mich heut Abend mit meinen Freunden treffen und die ganzen scheiß Sorgen
vergessen. Ich werd immer saufen und Party machen, so lang ich kann, dachte ich
mir, weil später muss eh jeder schaun, dass er ‘nen Job kriegt, da ist nichts
mehr mit Exzessen und so.
“ Chris und seine Freunde kommen nicht aus einem
asozialen Viertel, sondern aus ganz normalen Mittelstandsfamilien und sind auch
in der Schule keine Versager. Aber nach der Woche, die vom täglichen „Krieg“ mit
den Lehrern und Eltern, von fehlenden Zukunftsperspektiven und wachsendem Hass
geprägt ist, wollen sie einfach nur „abfeiern“, Spaß haben, einmal gut drauf
sein und nicht daran denken, dass das Leben wie eine endlose Straße ist, auf der
sich nie etwas ändert.
Marius Meinhof zeichnet ein einfühlsames,
traurig-lustiges Bild vom Lebensgefühl der heutigen Jugendlichen, das trotz
allem nicht ganz ohne Hoffnung ist.
Buchbesprechung/-en:
Frankenpost -
erschienen am 15.02.2008
Richtig geil und ziemlich
scheiße
Burg-Verlag Rehau | Ein junger
Franke erzählt von „ganz normalen Jugendlichen“
„Es war ein Freitag im
Februar, und mich kotzte mal wieder alles an.“ So beginnt das neue Buch des
24-jährigen Marius Meinhof, der im Herbst 2006 mit dem Fantasy-Roman „Die Berge
von Kallon“ debütierte. Wiederum im Rehauer Burg-Verlag gibt der Franke – seine
Wurzeln liegen in Hof – nun Nachricht von einer düsteren Seite des wirklichen
Lebens.
Der Ich-Erzähler heißt
Chris, ist 17 und Schüler eines Gymnasiums. Wie alle in seiner Clique zählt er
sich zu den „ganz normalen Jugendlichen“. Auch die Eltern sind normal: „Wir
hatten ein Haus, zwei Autos und all das.“ Die Schule und „das Leben“ nerven. Die
Jungs stehen „voll auf Kriegsfuß mit der Welt“. Wenigstens hat der Freitag, an
dem die Erzählung beginnt, einen Vorzug: Man kann sich aufs Wochenende freuen.
„Das Ausgehen“, heißt es, „war richtig geil.“
Das Ausgehen und das Saufen:
„Heute geb ich mir die Kante, saufen bis zum Ende, bis wir richtig hacke sind.“
Dann steckt man sich den Finger in den Hals und kotzt. Im Suff mag es auch
passieren, dass man Lust hat, „’nen Typen zu fotzen“; die Übersetzungshilfe im
Anhang stellt klar, dass damit gemeint ist, auf jemanden einzuschlagen. Gewalt
wird ausgeübt – und erlitten. Und Sex? Chris hat „ewig kein Mädchen mehr
gevögelt“. Aber nun läuft ihm eine Jessi über den Weg, in der er die absolut
beste Küsserin aller Zeiten erkennt. Auch ist da eine Melanie, mit der er
ersatzweise „rumhauen“ kann – egal, dass sie „ziemlich scheiße küsst“.
Autor Meinhof teilt im
Vorwort mit, dass alle Personen frei erfunden seien; Orte und Geschehnisse
jedoch seien real. Tatsächlich scheint es, als werde aktuelle Befindlichkeit
hier authentisch wiedergegeben. Meinhof kennt sich aus mit dem Jugend-Jargon, in
dem alles „irgendwie scheiße“ ist „und so“. Und weil er unprätentiös und mit
Verve und Tempo zu schreiben versteht, gelang ihm ein bemerkens- und
lesenswertes, ja gutes Buch.
Ein erschreckendes natürlich
auch und vor allem. Warum, fragt sich der Erwachsene, sind die Jungs, wie sie
sind? Etwas wie eine Teil-Antwort ist in Chris’ kurzer Begegnung mit seinem
Cousin Thomas zu finden. Der hat früher zu den coolsten Typen gehört. Jetzt muss
er froh sein, einen „scheiß Job“ zu haben, und sieht „echt irgendwie müde aus,
voll fertig“. Der Erzähler glaubt denn auch, Grund zum Schwarzsehen zu haben.
Seiner Aussage, er habe noch viel vor im Leben, steht das Gefühl gegenüber, die
eigene Zukunft werde „nur Scheiße enthalten“.
Dass der kurze Roman relativ
handlungsarm ist, folgt zwangsläufig aus seinem Thema. Die Figuren sind gefangen
in der beckettschen Wiederholung des Immergleichen. Auf Seite 107 erkennt Chris,
dass die paar Wochen, von denen erzählt wird, die Geschichte seines Lebens
enthalten („Sie waren genau so wie die Wochen und Monate davor und so, wie die
nächsten Wochen und Monate sein würden“), eines Lebens, das er mit einer langen,
dunklen Straße vergleicht. Am Ende bleibt ihm „nur eines zu tun: saufen. Denn
man kann sowieso nichts ändern.“
Ralf Sziegoleit